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Nobelpreisträgerin Frances Arnold im Kreis ausgewählter ehemaliger und heutiger wissenschaftlicher Mitarbeiter, darunter Prof. Dr. Volker Sieber (4.v.l.) vom TUM-Campus Straubing.

Prof. Dr. Volker Sieber war zu Gast bei Nobelpreisträgerin Frances Arnold in Stockholm

 

Straubinger Tagblatt | Monika Schneider-Stranninger | 24.12.2018

Die Einladung kam per E-Mail. Und Prof. Dr. Volker Sieber, Professor für Chemie Biogener Rohstoffe und Rektor des TUM-Campus Straubing, gibt gerne zu, dass er darauf gehofft hatte. Als einer von nur 20 Mitarbeitern aus einem Kreis von 300 ehemaligen und heutigen wissenschaftlichen Weggefährten der amerikanischen Chemie-Nobelpreisträgerin Frances Arnold vom California Institute of Technology in Pasadena war er Gast bei den Feierlichkeiten zum Chemie-Nobelpreis in Stockholm. Es hat ihn „irrsinnig gefreut“.

Beim erlauchten Kreis des 1 000 Köpfe zählenden Publikums bei der eigentlichen Verleihung war der Straubinger Professor zwar nicht. „Jeder Preisträger erhält nur 14 Tickets. Da bekam natürlich die Familie von Frances Arnold den Vorzug“, sagt er. Er war aber bei einem parallel stattfindenden Bankett mit Liveschaltung aus nächster Nähe dabei. Im Anschluss hat Frances Arnold mit ihren Bankett-Gästen gefeiert. Man(n) trägt dabei übrigens Frack. Prof. Sieber hat sich einen ausgeliehen. Elfriede Artmanns Kostümverleih in Steinach ist da nicht nur für den Wiener Opernball erste Adresse. Ein Frack für eine Nobelpreisverleihung war allerdings auch für die versierte Schneiderin eine Premiere.

Viel mehr als nur ein Festakt

Vor allem hat Prof. Sieber während seines Aufenthalts in Stockholm erlebt, dass die Nobelpreisverleihung keine Sache nur eines Festaktes ist. Über eine Woche gibt es für die Preisträger und ihre jeweiligen Gäste ein dicht gedrängtes Programm mit Banketten, Vorträgen bis hin zu Studenten-Partys. Aus seiner Erfahrung sind das verblüffend ungezwungene Gelegenheiten, mit hochdekorierten Wissenschaftlern ganz entspannt ins Gespräch zu kommen.

Die Zeit in Stockholm verbrachte Prof. Sieber in einer von Frances Arnold für ihre Gäste angemieteten großen Wohnung, die zum Kommunikationszentrum für ehemalige und heutige Weggefährten wurde. Eine weitere Gelegenheit, wissenschaftliche Kontakte nach Straubing zu knüpfen.

Jeder Preisträger habe während seines Aufenthalts quasi als Navigator durch das geballte Programm einen Chauffeur und einen Attaché, einen jungen Diplomaten aus dem schwedischen Außenministerium, an seiner Seite. Zufällig ist ihm ein Artikel des „Guardian“ in die Hände gekommen. Dessen Autor gibt mit einem Augenzwinkern sechs Tipps, wie man diese terminbeladene Woche am besten übersteht: Auf Vorrat schlafen, weil man während dieser Woche wenig dazu kommt; sich mit dem Strom treiben lassen und am Teppich bleiben; es genießen, ein Celebrity zu sein; aufs Protokoll achten; die Kräfte einteilen, es sind lange Nächte; Und lieber ein paar Tage länger bleiben…

Wissenschaftliche Zukunft ist interdisziplinär

Ehe die Preisträger ihre Auszeichnung erhalten, ist eine letzte Hürde zu nehmen: Sie müssen in Stockholm eine öffentliche Vorlesung halten. Hier habe sich das besondere Talent von Frances Arnold gezeigt, mit ihren Visionen die Zuhörer in Bann zu ziehen, schwärmt er. Die zweite Hälfte des Nobelpreises für Chemie teilen sich der Amerikaner George P. Smith von der University Missouri in Columbia und der Engländer Sir Gregory P. Winter vom MRC Laboratory of Molecular Biology in Cambridge. Smith, der „eher Biologe“ sei, beweise, dass die klare Trennung der beiden Fächer nicht mehr zeitgemäß ist, sieht sich Prof. Sieber bestätigt. Gerade diese Nobelpreisentscheidung zeige überzeugend, dass die Zukunft der interdisziplinären Zusammenarbeit gehört, wie sie insbesondere auch am TUM-Campus in Straubing in Forschung und Lehre gelebt werde. Und auch die Vorlesungen der Preisträger des Nobelpreises für Ökonomie haben überzeugend vermittelt, dass Wirtschaftswachstum nicht zwingend auf Kosten von Natur und Umwelt gehen muss, wenn diese Kosten als solche eingepreist werden und Innovationen richtig honoriert werden. Auch am TUM-Campus Straubing wird an diesen zentralen Fragen geforscht.

1990 hat Frances Arnold, eigentlich eine Ingenieurin, ihre jetzt prämierte Arbeit begonnen. 1999/2000 war Prof. Sieber kurz nach seiner Promotion dort Forschungsstipendiat. Er fühlt sich geehrt, dass in der offiziellen wissenschaftlichen Würdigung des Nobelpreisthemas auch seine Arbeit zitiert ist.

Er wollte damals „nochmal rausgehen in die Welt“, ehe er für mehrere Jahre in der Industrie tätig wurde. Gerade nach der Promotion sei das leicht möglich, „solange man keine schulpflichtigen Kinder hat“, sagt er und hofft, damit heutige Doktoranden zu motivieren. Die Bereitschaft, im Ausland seinen wissenschaftlichen und persönlichen Horizont zu erweitern, vermisst er heute ein wenig bei den Promotionsstudenten.

Das von Frances Arnold entwickelte Verfahren ist im Grunde nicht anders als eine spezielle Form der Züchtung: Gegebenes durch Variation und Selektion weiterentwickeln, hier angewandt auf Biokatalysatoren. Sie hat damit Proteine isoliert, die stabiler sind als andere, die unter anderen Reaktionsbedingungen funktionieren oder die völlig neue Aufgaben lösen können. Nichts anderes sei Gegenstand wissenschaftlicher Arbeit am TUM-Campus Straubing, erklärt Prof. Sieber. Auch die Herstellung von Bioethanol wie bei Clariant im Hafen Straubing-Sand funktioniere nach demselben Prinzip und fuße auf dem methodischen Ansatz der jetzigen Chemie-Nobelpreisträgerin.

Insofern ist der Wissenschaftsstandort Straubing ganz nah dran und sind große Zukunftsthemen längst Gegenwart.